Einigung beim Bürgergeld: Bei uns haben keine Sektkorken geknallt

Die KOS hat von Anfang an die Pläne der Bundesregierung zum Bürgergeld als völlig unzureichend und als nicht zur Überwindung von Hartz IV geeignet kritisiert. Dies, obwohl der Gesetzesentwurf der Bundesregierung einige durchaus begrüßenswerte Änderungsvorhaben enthalten hat, die nach wie vor umgesetzt werden sollen, beispielsweise bei der Erhöhung der Freibeträge für anzurechnendes Erwerbseinkommen. Doch besonders aufgrund der nach wie vor viel zu niedrigen Regelsätze, der z. B. für alleinstehende Erwachsene um rund 200 Euro hinter dem Betrag zurück bleibt, den etwa der Paritätische Wohlfahrtsverband für angemessen hält, sowie dem weitgehenden Festhalten an Sanktionen bleiben wesentliche Prinzipien von Hartz IV im Bürgergeld erhalten. Auch das Bürgergeld stellt sich uns so als Verarmungs- und Zwangssystem dar mit dem Hauptziel, die Löhne zu drücken. Das gilt erst recht, nachdem der Vermittlungsausschuss auf Druck der CDU verschiedene zunächst geplante Verbesserungen, etwa bei den Kosten der Unterkunft, zusammengestrichen hat.

Wirklich erschreckt hat uns außerdem die im Gesetzgebungsprozess einsetzende Kampagne von AfD, CDU und Wirtschaftsverbänden. Unisono wurde hier die Behauptung aufgestellt, das geplante Bürgergeld sei „der Weg in ein bedingungsloses Grundeinkommen“ (Friedrich Merz) bzw. eine „Einladung zum Müßiggang“ und damit „ein Schlag ins Gesicht der arbeitenden Bevölkerung“ (AfD). Arbeitgeberpräsident Dulger attestierte dem Gesetzesentwurf, er schaffe einen Brückenschlag „ins Sozialtransfersystem statt ins Arbeitsleben“. Das altbekannte Bild der „faulen Arbeitslosen“, die sich „in die Hängematte legen auf Kosten derer, die noch arbeiten“ (AfD) wurde im Laufe der Kampagne in den bizarrsten Farben ausgeschmückt. Um der Faulheit einen Riegel vorzuschieben, will die AfD unter dem Etikett „aktivierende Grundsicherung“ den Leistungsbezug an eine von ihr „Bürgerarbeit“ genannte Zwangsarbeit im Umfang von 15 Wochenstunden koppeln, z.B. in der „Heimatpflege und Ortsverschönerung“. Die „Bürgerarbeit“ soll nach Vorstellung der AfD nach einer Karenzzeit von sechs Monaten für alle verpflichtend sein, die nicht einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung mit mindestens zwanzig Wochenstunden nachgehen. Die Kampagne gegen den Bürgergeldentwurf hatte das offensichtliche Ziel, Leistungsberechtigte und Geringverdiener*innen gegeneinander auszuspielen und wurde bedenkenlos auch von vermeintlich seriösen Medien aufgegriffen. Beide Bevölkerungsgruppen leiden stark unter den explodierenden Preisen und sind noch dazu oft identisch. Die vor allem von der CDU mit zahlreichen Rechenexempeln flankierte Behauptung, dass Erwerbslose in Folge des Bürgergeldes unter dem Strich mehr Geld bekommen könnten als Geringverdienende, ist schlicht falsch. Denn viele Geringverdiener*innen können zusätzlich zum Lohn auch die zum neuen Jahr deutlich verbesserten Sozialleistungen Wohngeld und Kinderzuschlag erhalten. Selbst wenn sie die Voraussetzungen für Wohngeld und Kindergeld nicht alle erfüllen sollten, können Geringverdienende dann noch Hartz IV bzw. Bürgergeld beantragen, in diesem Fall bekommen sie einen Freibetrag für Erwerbstätigkeit zugesprochen, den Erwerbslose nicht beanspruchen können.
Mit dem nun im Vermittlungsausschuss ausgehandelten Gesetz werden leider auch einige Verbesserungen bzw. die Beibehaltung von Verbesserungen aus den bis Ende dieses Jahres geltenden Sozialschutzpaketen wieder in Frage gestellt. Das betrifft vor allem die Verkürzung der Karenzzeit bei den Wohn- und Heizkosten von zwei auf ein Jahr, die in der aktuellen Krise den meisten Leistungsberechtigten wenigstens die Angst vor Verlust der eigenen Wohnung abmildern kann. Wobei anzumerken ist, dass gerade diejenigen, die schon seit Jahren einen Teil ihrer Wohn- und Heizkosten aus dem zu knapp bemessenen Regelsatz bezahlen müssen, von dieser Erleichterung ausgenommen wurden. Die jetzige Einigung mit der verkürzten Karenzzeit vergrößert die Unsicherheit der Betroffenen und bedroht spätestens im nächsten Winter 2023/24 viele Menschen.
Auch zaghafte Verbesserungen bei den Sanktionsregelungen, viele davon allerdings eine Folge des Urteils des Bundesverfassungsgerichts von 2019, waren Teil der ursprünglichen Planungen der Koalition und werden nun wieder eingeschränkt. Bei anderen Reformvorstellungen wie „Vertrauenszeit“ oder „Kooperationsplan“ ist unklar, ob sie sich für Leistungsberechtigte tatsächlich positiv auswirken bzw. ausgewirkt hätten. Ein Mehr an Weiterbildungen, am besten abschlussbezogene, wäre durchaus zu begrüßen, doch hier bleibt abzuwarten, wie sich die Absichten des Gesetzgebers in der Praxis der Jobcenter tatsächlich abbilden werden.