Sanktionsmaschinerie abschalten!

Mitte Januar 2019 hat das Bundesverfassungsgericht im Normenkontrollverfahren 1 BvR 7/16 eine ausführliche Anhörung durchgeführt. Die Sanktionskritiker/innen - Erwerbsloseninitiativen, Gewerkschaften und Wohlfahrtsverbände - haben sich dort gemeinsam "wacker geschlagen", die Sanktionsbefürworter - BMAS und BA - dagegen nicht gerade "mit Ruhm bekleckert". Das Ergebnis bleibt abzuwarten, aber da gar nicht alle Arten von Sanktionen Gegenstand des Verfahrens sind, können sie auch nicht allesamt abgeschafft werden: Weder Meldeversäumnisse noch die verschärften U25-Sanktionen stehen dort zu Debatte.

Das BVerfG will und wird also nicht beurteilen, ob "die" Sanktionen im SGB II "grundsätzlich" richtig oder falsch sind. Es wird kein Urteil pro oder contra Sanktionen sprechen, sondern "nur" ansagen, inwieweit Sanktionen verfassungsrechtlich zulässig kein können. Schulnoten für gute oder schlechte Politik wird es nicht verteilen. Wir dürfen - und werden - daher Sanktionen im SGB II weiterhin für ungerecht, überflüssig, schädlich und verkehrt halten, egal wie das Urteil am Ende ausfällt. Unsere Argumente für die Abschaffung der Sanktionen haben wir in einem kurzen Positionspapier zusammengestellt: Sanktionen-BVerfG-Anhörung.pdf

Am 04.06.18 fand im Bundestagsauschuss für Arbeit und Soziales die Anhörung zu zwei Gesetzentwürfen der Parteien Die Linke sowie Bündnis 90/Die Grünen statt, die beide für die Abschaffung von Sanktionen plädieren. Der Diskussionsverlauf dieser Anhörung gibt einen Einblick nicht nur in politische Mehrheiten, sondern auch in gesellschaftliche Stimmungen. Ulrike Müller, wissenschaftliche Mitarbeiterin der Linken im Bundestag, hat uns freundlicherweise ihre Zusammenfassung der in der Anhörung von verschiedener Seite vorgetragenen Positionen zur Verfügung gestellt: BT-Anhörung_Juni_2018_zu_SGB-II-Sanktionen_-_Kurzzusammenfassung_der_Stellungnahmen.pdf

Was auch immer im Karlsruher Normenkontrollverfahren herauskommt, die Mehrheitsverhältnisse im Bundestag verändern sich dadurch ja nicht. Am ehesten scheint noch die Abschaffung der U25-Sanktionen möglich, obwohl diese vom BVerfG gar nicht direkt geprüft werden. Hinsichtlich der politischen Umsetzbarkeit des zu erwartenden Urteils gibt die letzte Ausschuss-Anhörung wichtige Hinweise; wir haben die inhaltliche Zusammenfassung der Stellungnahmen daher ergänzt mit einer "realpolitischen" Machbarkeitsanalyse: Sanktionen-BT-AuS-Anhörung.pdf

Die begrenzte Machbarkeit angesichts einer "herumeiernden" Sozialdemokratie ändert aber nichts an unseren Forderungen. Der Koordinierungsausschuss gewerkschaftlicher Arbeitslosengruppen hatte bereits am 26. Oktober 2016 klar gegen die Sanktionen im SGB II Stellung bezogen: Das EXISTENZMINIMUM ist als Menschenrecht unabdingbar! Daher sind zwar die "Sanktionsparagrafen" §§ 31 und 32 aus dem SGB II zu streichen, aber das macht aus der Grundsicherung noch lange kein bedingungsloses Grundeinkommen. Auch ohne spezielle Sanktionen gelten nämlich weiterhin die allgemeinen Mitwirkungspflichten nach den §§ 60-67 SGB I (wie für alle Sozialleistungen), und was die Frage der Zumutbarkeit von Arbeit angeht - die ist bereits im SGB III geregelt (und sollte dort rechtskreisübergreifend einheitlich nachgebessert werden).

Der spannendste Aspekt des zu erwartenden Urteils ist die Frage, wie viele Untergrenzen kann es überhaupt geben? Wie ernst ist es gemeint, wenn vom Existenzminimum die Rede ist? Wahrscheinlich irgendwann im Lauf des zweiten Quartals 2019 werden wir es wissen!

#unteilbar. Für eine offene und freie Gesellschaft - Solidarität statt Ausgrenzung

Wir unterstützen die Großdemonstration des #unteilbar-Bündnisses gegen Ausgrenzung und Rechtsruck am 13. Oktober 2018 in Berlin.

Hier der Aufruf:

#unteilbar
Für eine offene und freie Gesellschaft – Solidarität statt Ausgrenzung!

Es findet eine dramatische politische Verschiebung statt: Rassismus und Menschenverachtung werden gesellschaftsfähig. Was gestern noch undenkbar war und als unsagbar galt, ist kurz darauf Realität. Humanität und Menschenrechte, Religionsfreiheit und Rechtsstaat werden offen angegriffen. Es ist ein Angriff, der uns allen gilt.

Wir lassen nicht zu, dass Sozialstaat, Flucht und Migration gegeneinander ausgespielt werden. Wir halten dagegen, wenn Grund- und Freiheitsrechte weiter eingeschränkt werden sollen.

Das Sterben von Menschen auf der Flucht nach Europa darf nicht Teil unserer Normalität werden. Europa ist von einer nationalistischen Stimmung der Entsolidarisierung und Ausgrenzung erfasst. Kritik an diesen unmenschlichen Verhältnissen wird gezielt als realitätsfremd diffamiert.

Während der Staat sogenannte Sicherheitsgesetze verschärft, die Überwachung ausbaut und so Stärke markiert, ist das Sozialsystem von Schwäche gekennzeichnet: Millionen leiden darunter, dass viel zu wenig investiert wird, etwa in Pflege, Gesundheit, Kinderbetreuung und Bildung. Unzählige Menschen werden jährlich aus ihren Wohnungen vertrieben. Die Umverteilung von unten nach oben wurde seit der Agenda 2010 massiv vorangetrieben. Steuerlich begünstigte Milliardengewinne der Wirtschaft stehen einem der größten Niedriglohnsektoren Europas und der Verarmung benachteiligter Menschen gegenüber.

Nicht mit uns – Wir halten dagegen!

Wir treten für eine offene und solidarische Gesellschaft ein, in der Menschenrechte unteilbar, in der vielfältige und selbstbestimmte Lebensentwürfe selbstverständlich sind. Wir stellen uns gegen jegliche Form von Diskriminierung und Hetze. Gemeinsam treten wir antimuslimischem Rassismus, Antisemitismus, Antiziganismus, Antifeminismus und LGBTIQ*- Feindlichkeit entschieden entgegen.

Wir sind jetzt schon viele, die sich einsetzen:

Ob an den Außengrenzen Europas, ob vor Ort in Organisationen von Geflüchteten und in Willkommensinitiativen, ob in queer-feministischen, antirassistischen Bewegungen, in Migrant*innenorganisationen, in Gewerkschaften, in Verbänden, NGOs, Religionsgemeinschaften, Vereinen und Nachbarschaften, ob in dem Engagement gegen Wohnungsnot, Verdrängung, Pflegenotstand, gegen Überwachung und Gesetzesverschärfungen oder gegen die Entrechtung von Geflüchteten – an vielen Orten sind Menschen aktiv, die sich zur Wehr setzen gegen Diskriminierung, Kriminalisierung und Ausgrenzung.

Gemeinsam werden wir die solidarische Gesellschaft sichtbar machen! Am 13. Oktober wird von Berlin ein klares Signal ausgehen.

#unteilbar Für eine offene und freie Gesellschaft – Solidarität statt Ausgrenzung Demonstration: 13. Oktober 2018 – 13:00 Uhr Berlin

Für ein Europa der Menschenrechte und der sozialen Gerechtigkeit!
Für ein solidarisches und soziales Miteinander statt Ausgrenzung und Rassismus!
Für das Recht auf Schutz und Asyl – Gegen die Abschottung Europas!
Für eine freie und vielfältige Gesellschaft!
Solidarität kennt keine Grenzen!

Für weitere Informationen: https://www.unteilbar.org/

pdf-Version des Aufrufs: unteilbar_Aufruf.pdf

Neuer Sozialer Arbeitsmarkt?

Im Oktober/November soll das sog. Teilhabechancengesetz (10. SGB-II-Änderung) verabschiedet werden, damit es zum 01.01.2019 in Kraft treten kann.
Hier unsere ausführliche Analyse und Kritik des Gesetzentwurfs: Teilhabe-zweiter-Wahl.pdf

In der Endfassung des Gesetzes wurde noch manches geändert (unser Hauptkritikpunkt neben weiteren Verbesserungen zwar ausgeräumt, aber auch eine Verschlechterung eingefügt, und andere grundsätzliche Kritikpunkt bleiben). Hier eine tabellarische Übersicht des vorläufig letzten Standes, wobei die Änderungen rot marktiert sind: Tabelle_TeilhabechancenG_Endfassung.pdf

Außerdem eine Übersicht mit Links zu den arbeitsmarktpolitischen Förderprogrammen der Bundesländer (mit herzlichem Dank an den Kollegen Marcus Böhme von ver.di, der die Liste zusammengestellt hat): Linkliste_Öffentlich_geförderte_Beschäftigung_in_den_Ländern.docx

Regelsätze stringent und transparent neu bemessen!

Auf der Mitgliederversammlung des Fördervereins (Erfurt 05.10.2017) erläuterte Dr. Irene Becker ihr Konzept für methodisch konsistente Berechnungen nach dem Statistik-Modell in der Becker-Tobsch-Variante, das sie bereits am 11.11.2016 in einem Gutachten für die Diakonie entwickelt hatte: Statistikmodell_handout_ib_05102017.pdf

Wir haben dieses Modell einer alternativen und verbesserten Berechnung der Regelsätze bereits in unserem A-Info Nr. 181 vorgestellt, erläutern es auf Becker-Tobsch_statt_BMAS-RBEG.pdf und unterstützen es mit folgender Forderung: KOS-unterstützt-Becker-Tobsch.pdf

Eine ausführliche Kritik der statistischen Manipulationen, auf denen die offizielle Regelsatzbemessung bisher beruht, wurde (leicht gekürzt) in der 21. Ausgabe der Arbeitslosenzeitung "quer" veröffentlicht: (https://www.also-zentrum.de/zeitschrift-quer.html); hier eine erweiterte und aktualisierte Fassung dieses Artikels: quer21-erweitert.pdf

Patentrezept Bedingungsloses Grundeinkommen?

Die Bedingungslose Grundeinkommen (nicht zu verwechseln mit dem "Solidarischen Grundeinkommen" der SPD-Arbeitsmarktpolitik) scheint Vielen eine, ja die Alternative zu Hartz IV zu sein: Der Zwang, zu arbeiten für 'nen Appel und 'n Ei soll dadurch abgeschafft werden.

Wir befürchten allerdings nicht, dass dann niemand mehr arbeiten würde - sondern im Gegenteil, wir befürchten, dass die Meisten trotzdem, nur dann eben freiwillig, für 'nen Appel und 'n Ei arbeiten würden: Wozu noch ein Mindestlohn, wenn die Existenz bereits durch das Bedingungslose Grundeinkommen gesichert ist?

Zu den nicht beabsichtigten und kaum kalkulierbaren Rückwirkungen aufs Tarifgefüge des allgemeinen Arbeitsmarkts verweisen wir auf das Interview mit Christoph Butterwegge in ver.di publik Nr. 02/2018 (danke für die freundliche Erlaubnis): ver.di_Armut_verhindern.pdf