Aktualisiert: Extra-Leistungen für Sonderbedarfe

Für außergewöhnliche Ausgaben aufgrund einer besonderen Lebenslage (= “Sonderbedarf“) besteht ab sofort ein Anspruch auf eine höhere Hartz-IV-Leistung. So entschied das Bundesverfassungsgericht. Was ist ein Sonderbedarf und was nicht? Wann sind Anträge Erfolg versprechend?

Inhaltsübersicht (zu dieser Seite)

# Info-Blatt für Leistungsberechtigte
# Definition Sonderbedarfe (Vorgabe BVerfG)
# BA-Anweisung zu restriktiv und eng
# Hohe Hürden für Anträge und rechtliche Gegenwehr - Begründung für unsere Rechtsauffassung
# Hinweis auf andere, weitergehende Einschätzungen
# Materialhinweise:
- BVerfG-Urteil im Wortlaut
- BA-Anweisung zu Sonderbedarfen
- Geplante gesetzliche Neuregelung / Anhörung

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Info-Blatt für Leistungsberechtigte
Die wichtigsten Informationen zum Thema haben wir in dem Info-Blatt für Hartz-IV-Bezieher „Sonderbedarfe beantragen“ zusammengefasst. Das Info-Blatt nennt Beispiele für mögliche Sonderbedarfe und erläutert die grundlegende Voraussetzung für einen zusätzlichen Leistungsanspruch: zusätzliches Geld für Sonderbedarfe gibt es nur für außergewöhnliche Ausgaben in außergewöhnlichen Lebenssituationen. Es muss sich um so genannte „atypische Bedarfe“ handeln, also um ungedeckte Ausgaben, die bei den meisten Haushalten gar nicht anfallen.
Info-Flugblatt [aus A-Info 136, PDF, siehe Seite 4]

Definition Sonderbedarfe (Vorgabe BVerfG)
Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) enthält einige Vorgaben (Randziffer 204 und folgende) zur Definition von Sonderbedarfen:
# Der Bedarf muss „unabweisbar“ sein.
# Die Ausgaben müssen „laufend“, zumindest aber „nicht nur einmalig“ anfallen. Die Ausgaben müssen also zumindest mehrmals anfallen – laut Auffassung der Bundesagentur für Arbeit mehrmals im Bewilligungszeitraum von sechs Monaten.
# Es muss ein „besonderer Bedarf aufgrund atypischer Bedarfslagen“ sein. Oder mit anderen Worten:  „Ein in Sonderfällen auftretender Bedarf nicht erfasster Art oder atypischen Umfangs…“
# Die Ausgaben für den Sonderbedarf müssen „erheblich“ sein.

BA-Anweisung zu restriktiv und eng
Wir halten die Anweisung der BA (siehe unten) zu den Sonderbedarfen für zu restriktiv. Allerdings beinhaltet diese Anweisung keine abschließende Aufzählung sondern nennt nur Beispiele.

Folgende Erweiterung halten wir für möglich:

# Statt nur „Putz-/Haushaltshilfe für Rollstuhlfahrer“ allgemeiner:
Notwendige Dienstleistungen bei Krankheit / Behinderung

# Statt nur „Umgangsrecht mit getrennt lebenden Kindern“ allgemeiner:
Familiär bedingte Reisekosten bei räumlicher Trennung (Reha, Gefängnis, Krankenhaus…)

# Mehrkosten Übergrößen (Bekleidung)

Hohe Hürden für Anträge und rechtliche Gegenwehr -
Begründung für unsere Rechtsauffassung

Aber ist es nicht zumindest einen Versuch wert, auch Anträge für weitere, ungedeckte Bedarfe zu stellen und diese vor den Sozialgerichten durchzusetzen? Schließlich sagt das BVerfG-Urteil doch an einigen Stellen sehr deutlich, dass bestimmte Bedarfslagen nicht oder nicht ausreichend in die Bemessung der Regelleistungen eingeflossen sind.

Wir halten diesen Ansatz nicht für sinnvoll, weil wir keine Erfolgsaussichten für solche Anträge und Gerichtsverfahren sehen:

# Die Kritik des BVerfG an den Regelleistungen (z.B. Kinder) ist nicht übertragbar und nicht nutzbar für die Sonderbedarfe. Regelleistungen (= Leistungen für den Regelfall / für typische Bedarfe) und Sonderbedarfe (= Leistungen im Ausnahmefall / für atypische Bedarfe) sind zwei völlig verschiedene Dinge. Längst nicht jeder Bedarf, der zurzeit nicht aus der Regelleistung gedeckt werden kann, ist rechtlich gesehen auch ein Sonderbedarf.

# Aus der Kritik des BVerfG an den Regelleistungen folgt „nur“ die Pflicht für den Gesetzgeber, die Leistungshöhe neu zu ermitteln. Darüber hinaus gehende Leistungsansprüche (mit Ausnahme der eng definierten Sonderbedarfe) ergeben sich nicht. An dieser Stelle gibt es auch aus unserer Sicht keinen Interpretationsspielraum, da das BVerfG-Urteil an dieser Stelle sehr eindeutig ist. In Rz 219 heißt es:
„Da (…) der Gesetzgeber nur verpflichtet ist, die Regelleistung mit Wirkung für die Zukunft neu festzusetzen, müssen die Ausgangsverfahren nicht bis zur Neuregelung des Gesetzgebers ausgesetzt bleiben. Gleiches gilt für andere (…) Verfahren, in denen die Höhe der gesetzlichen Regelleistung im Streit steht. Es steht vielmehr (…) fest, dass die Hilfebedürftigen nicht deshalb (höhere) Leistungen erhalten können, weil die gesetzlichen Vorschriften über die Höhe der Regelleistung mit dem Grundgesetz unvereinbar sind.“

# Im Sozialrecht gilt generell: Kein Leistungsanspruch ohne eine Rechtsgrundlage. Für zurzeit ungedeckte Bedarfe, die keine Sonderbedarfe sind, gibt es eine solche Rechtsgrundlage aber definitiv nicht: Sie fehlt bekanntlich im SGB II und die Herleitung eines Rechtsanspruchs direkt aus dem Grundgesetz (§ 1 GG / Menschenwürde) hat das BVerfG nur für die eng definierten Sonderbedarfe festgestellt – aber nicht für andere Bedarfslagen.

# Das Bundessozialgericht hat übrigens bereits in diesem Sinne entschieden. Es lehnte zusätzliche Leistungen für wachstumsbedingte Mehrausgaben für die Bekleidung von Kindern ab – und hat sich dafür bei den Klägern geradezu entschuldigt. Begründung: Ausgaben für Bekleidung sind ein regelmäßig bei allen Familien anfallender Bedarf und somit kein Sonderbedarf, sondern den Regelleistungen zuzuordnen und für höhere Regelleistungen gibt es keine Rechtsgrundlage…
Weitere Infos zu diesem aktuellen BSG-Urteil [externer Link]

Weitere Argumente für eine enge Auslegung der Sonderbedarfe am Beispiel der Aufwendungen für (Schul)Kinder stehen hier [PDF].


Hier der Hinweis auf weitere Rechtsauffassungen, die wir den NutzerInnen unserer Seite nicht vorenthalten wollen:

Tacheles e.V. [externer Link]

Arbeitslosenselbsthilfe Oldenburg (ALSO) [externer Link]

Weitere Materialhinweise
BVerfG-Urteil im Wortlaut [externer Link]

BA-Anweisung zu Sonderbedarfen [externer Link]

Gesetzliche Neuregelung, vom Bundestag am 22.04. beschlossen [externer Link] Siehe Seite 3 der Drucksache.